Tübingen – Seminare zum Zeitmanagement, Kurse zu Achtsamkeit und Meditation: Universitäten in Baden-Württemberg machen Stress im Studium zunehmend zum Thema. In Stuttgart, Tübingen und Freiburg stehen die Kurse beispielsweise zur Auswahl.

Studierendenvertreter der Universität Tübingen begrüßen die Angebote der Universität, kritisieren aber, dass sie sich nur an eine begrenzte Teilnehmerzahl aus den ersten Semestern richte. Die Kurse zielten auf eine bessere Anpassung der Studierenden an das stressende Umfeld. «Dabei könnte man auch in Frage stellen, ob es in allen Fällen notwendig ist, dass derart Zeit- und Leistungsdruck – auch künstlich – erzeugt wird», sagt der Sprecher des Studierendenrates Sebastian Bernd Preuß.

Ob der
Stress unter den Studierenden nachweislich zugenommen hat, könne er nicht sagen. Aber er berichtet, dass das Bologna System sowie der Anspruch, in Regelstudienzeit zu studieren, die Kommilitonen stresse. «Weitere Stressfaktoren sind beispielsweise unsichere Aussichten, was Bafög angeht, die teilweise sehr unsichere Zeit nach dem Studium sowie Probleme mit der Unibürokratie», so Preuß. Wem Exmatrikulation, Obdachlosigkeit oder das Nicht-Bestehen von Prüfungen droht, dürfe sicher zu Recht von sich sagen, er sei gestresst.

Um Stress entgegenzuwirken, gibt die Psychologin
Birgit Derntl an der Uni Tübingen Seminare für Doktoranden zum Stressmanagement. «Es gibt eine längere Warteliste», sagt Derntl. Stress hat aus Sicht der Forscherin ein zu Unrecht ausschließlich negatives Image. «Es ist schon eindrücklich, wie gestresst alle sind», sagt sie. Ihr liegt daran, den Studierenden mitzuteilen, dass Stress an sich etwas Positives ist, weil man unter Stress eigens auferlegte Grenzen überwinden und Ressourcen freisetzen könne. «Aber auf lange Frist ist er schädlich», sagt Derntl.

Prüfungsängste, Probleme mit dem Zeitmanagement, Lern- und Leistungsstörungen gehören auch zu den Themen, die Studierende mit den Fachleuten der psychosozialen Beratung des Studentenwerks Stuttgart besprechen wollen. Im Jahr 2016 haben 718 Studierende Rat gesucht – ein Anstieg gegenüber den Vorjahren (2015: 687), wobei auch die Zahl der Studierenden steigt.

An den Universitäten Stuttgart und Tübingen gibt es Angebote zum Stressmanagement, auch die Universität Freiburg gibt einen Kurs zum Zeitmanagement für Doktoranden. Auch hier macht das Studentenwerk mit seiner psychotherapeutischen Beratung weitere Angebote, zum Beispiel «Stressbewältigung durch Achtsamkeit» oder «Prüfungsangst war gestern». In Freiburg beschäftigen sich Wissenschaftler derzeit in einem Sonderforschungsbereich mit der
Muße und wo sie in der Epoche der Beschleunigung, Zeitverdichtung und Effizienz noch Platz findet.

Selbstbewusste Menschen können besser mit Stress umgehen

Selbstwertgefühl und das Geschlecht haben Einfluss auf den Umgang mit Stress. Das hat die Psychologin und Professorin am Centrum für Integrative Neurowissenschaften der Uniklinik, Birgit Derntl, herausgefunden. Sie arbeitete für ihre Studie mit 80 Probanden, allesamt gesunde Männer und Frauen, zum Großteil Studierende der Universität in Wien.

Selbstbewusste Frauen entwickelten bei der Lösung einer Aufgabe unter Zeitdruck ein «Wird schon laufen»-Gefühl, so Derntl. Die sogenannten Kontrollareale im Gehirn sind nicht besonders stark aktiviert. Anders ist es bei weniger selbstbewussten Frauen. Bei ihnen sind bei Stress die Kontroll- und Aufmerksamkeitsareale sehr aktiv, weil die Frau die Aufgabe unbedingt ordentlich erledigen wolle.

Negative Gefühle wie Angst, die Derntl zunächst angesichts schwerer Aufgaben eher bei Frauen vermutet hätte, komme aber vor allem bei Männern mit geringem Selbstwert vor. Je selbstbewusster Männer durchs Leben gehen, desto weniger kennen sie diese Angst.

Der Aufbau von Selbstbewusstsein kann ein Mittel gegen Stress sein. Dafür rate sie den Studenten, sich klar zu machen, was sie gut können. Sie sollen sich Feedback einholen, sich geschickte Ziele setzen und ihr Zeitmanagement im Blick behalten.

Fotocredits: Uwe Anspach
(dpa)

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