Flensburg – Rasha Bamatraf spricht schnell. Sie hat nur wenige Minuten, um das Scheitern ihrer Heimat zu skizzieren. Sie steht in einem Seminar an der Universität Flensburg und anders als ihre Kommilitonen kann sie nicht in ihre Heimat zurück.
Die 29-Jährige kam vor etwas mehr als einem Jahr als Flüchtling aus dem Jemen nach Deutschland. Heute lebt sie auf Sylt und studiert in Flensburg. «Ich bin so glücklich, dass ich daran teilhaben kann. Es gibt ein Gefühl der gleichen Rechte», sagt Bamatraf nach den ersten Wochen im Master-Studiengang European Studies.
Doch wie für die meisten Flüchtlinge in Deutschland machte ihr der Weg an die Uni Sorgen. Nicht vergleichbar mit der Angst, die sie vor den Huthi-Rebellen hatte, ehe sie den Jemen verließ. Nicht vergleichbar mit der Angst, die sie als Unterstützerin des saudi-arabischen Bloggers Raif Badawi hatte – oder mit der Angst, als Landsleute sie in der Erstaufnahme in Neumünster bedrohten, weil sie sich vom Islam abgewandt hat.
Es sind praktische Probleme des Ausländerrechts, die es Bamatraf schwer machen. «Nicht in der Lage zu sein, nach Flensburg ziehen zu können, ist ein Problem. Auf Sylt von BAföG zu leben auch», erzählt sie. Gern würde sie nach Flensburg umziehen, um täglich vier Stunden Zugfahrt und monatlich hunderte Euro für Fahrkarten sowie den teuren Wohnort zu sparen. Doch an der Kreisverteilung hält der Staat bei ihr fest, andere Betroffene kämpfen noch um Ausnahmen.
Unter diesen und ähnlichen Hürden haben bundesweit zahlreiche Flüchtlinge zu leiden. Genaue Zahlen gibt es nicht, da die Hochschulen den Aufenthaltsstatus bei der Immatrikulation nicht erfragen. Das Bundeswissenschaftsministerium stellt mit dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) über vier Jahre hinweg jedoch 100 Millionen Euro für sprachliche und fachliche Vorbereitungskurse an Unis bereit. Und die meisten der allein 2016 bis zu 4000 Teilnehmer dieser «Integra»-Kurse streben ein Studium an oder haben es bereits begonnen. Von rund 30 Kursteilnehmern in Flensburg studieren seit Oktober knapp 20, darunter auch Rasha Bamatraf.
Wenn das Ausländerrecht dazwischen schießt, helfen die Kurse jedoch wenig: «Wir bemerken zum Teil eine staatlich verschuldete Unmündigkeit», beklagt Charlotte Fiala, Migrationsforscherin und bisherige Koordinatorin des Flüchtlingsprogramms an der Uni Flensburg. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, ergänzt: «Die rechtlichen Regelungen können bei praktischen Fragen tatsächlich zusätzliche Probleme machen.» Hinzu komme, dass Teilnehmer von vorbereitenden Programmen meist «keine finanzielle Unterstützung durch die Jobcenter erhalten, da sie ja dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen».
Doch auch wenn die Geflüchteten die Sprachkurse gemeistert und ein Studium aufgenommen haben gilt: Solange ihr Asylverfahren läuft, haben sie keinen Anspruch auf BAföG.
Die Bundesregierung weiß seit Längerem um dieses Problem. Bereits am 21. Dezember 2015 schrieb die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz von Bund und Ländern an Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD): Es könne eine Finanzierungslücke entstehen, «die studierwillige Flüchtlinge von der Aufnahme eines Studiums abhalten könnte». An der Uni Flensburg hat man deshalb nun reagiert – und einen Stipendien- und Darlehensfonds für betroffene Flüchtlinge aufgelegt. Bis zu sechs Monate lang erhalten aktuell elf Notfälle daraus monatlich 400 Euro.
Die Unsicherheit, ob sie bleiben dürfen, kann aber auch die Uni den Flüchtlingen nicht nehmen. Nach Abschluss ihrer Asyl-Verfahren haben geflüchtete Studenten anders als Auszubildende nach dem neuen Integrationsgesetz keinen Anspruch auf eine Duldung. In einem Fall habe eine abgelehnte aber eingeschriebene Asylbewerberin zunächst sogar ausreisen müssen – um später wieder mit einem Studentenvisum nach Deutschland zu kommen, erzählte Fiala. Privat sammelte die Forscherin Geld, damit die Frau den dafür nötigen Kontostand von rund 9000 Euro nachweisen konnte.
«Die Leute, die hier bei uns erfolgreich ein Studium abschließen, sind ja auch Leistungsträger der Gesellschaft», sagte sie. Die Uni möchte sie gerne halten. Die Innenministerien nehmen darauf keine Rücksicht: Einer Länderumfrage des schleswig-holsteinischen Innenministeriums unter allen Bundesländern hat ergeben, dass das Studium bundesweit nicht als Duldungsgrund zählt. «Im Unterschied zu einer Berufsausbildung mit einer festgelegten Ausbildungsdauer ist bei Aufnahme eines Studiums der dafür benötigte Zeitaufwand nicht abschätzbar», teilte das Bundesinnenministerium zur Begründung mit. Politische Versuche des Bundesrates, das zu ändern, waren gescheitert.
In der BAföG-Lücke für Asylbewerber wiederum sieht das Bundessozialministerium ein abnehmendes Problem. «Die Beschleunigung der Asylverfahren ist weiterhin erklärtes Ziel», hieß es. Die Frage erledige sich selbst. Das Wissenschaftsministerium ergänzte, seit Januar sei der Zugang zum BAföG für lediglich geduldete Flüchtlinge bereits erleichtert worden. Bevorzugt behandelt werden Anträge von Studenten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aber nicht: «Dies wäre den anderen Antragstellern gegenüber nicht fair.»
So lange also Studenten wie Bamatraf noch weit mehr als eineinhalb Jahre auf die Entscheidung ihres Asylantrages warten, so lange gibt es auch Probleme. «Fast jeder Teilnehmer der 30 Leute ist ein Sonderfall», sagte Fiala mit Blick auf das «Integra»-Programm in Flensburg. Rashas Kommilitone Aboud Al Hadid, 26, nennt es so: «Es gibt manchmal Gesetze, die gegen Studenten gehen – und wir sind Studenten und Flüchtlinge.» Und an anderen Hochschulen stehen die Probleme noch aus: «Die meisten Geflüchteten in der Region sind derzeit noch dabei, die für ein Studium erforderlichen Sprachkenntnisse zu erwerben», teilte etwa die Uni Freiburg mit.
Rasha Bamatraf lässt sich von Problemen nicht abhalten. Nach ihrem Wirtschaftsstudium in Malaysia will sie mit Europawissenschaften später politisch etwas bewirken. «Was ist mit den anderen? Mit Frauen, die immer noch im Jemen sind, die immer noch unter der patriarchischen Gesellschaft leiden?», fragte sie. «Sie brauchen Beispiele, um zu sehen, dass es okay ist, verschieden zu sein.» Damit das gelingt fordert der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde, auch die Schließung von Finanzierungslücken: «Nur wenn die Sorge der Finanzierbarkeit eines Studiums wegfällt, kann man auch erfolgreich studieren.»
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(dpa)