London (dpa) – Oxford oder Cambridge – Großbritannien ist bekannt für seine Top-Universitäten. Viele britische Hochschulen wirken wie ein Magnet auf Studenten und Dozenten aus anderen EU-Ländern, vor allem auf Deutsche.
Doch was passiert nun nach dem Brexit-Votum? Der Frust bei vielen ist groß, mancher hat die Koffer im Geiste schon gepackt. «Im Moment ist hier eine riesige Verwirrung», sagt die 53-jährige Deutsche
Ursula Lanvers, die an der Universität York als Sprachwissenschaftlerin arbeitet – und viel mit internationalen Studenten zu tun hat. Tausende junger Leute aus anderen EU-Staaten lernen an ihrer Hochschule. «Unsere Uni hat sofort nach der Brexit-Abstimmung viele Aktionen für die Studenten gestartet.»
Aber ihnen und den ausländischen Lehrkräften die Sorgen zu nehmen, das kann niemand. Lanvers, die aus der Nähe von Münster stammt, lebt seit 26 Jahren in England. Ihr Mann ist Brite und Professor an einer anderen Hochschule. Gemeinsam haben sie einen bitteren Entschluss gefasst: «Dieses Land ist für mich und meinen Mann kein Lebensort mehr. Wir überlegen, nach Deutschland zu ziehen.»
Auch die Zukunftsaussichten vieler Studenten sind kaum einzuschätzen. Problem 1: Viele kommen mit dem Erasmus-Programm nach Großbritannien und müssen keine Studiengebühren bezahlen. Damit könnte nach dem Brexit Schluss sein – muss es aber nicht. Denn das Erasmus-Programm ist nicht zwingend an die EU-Mitgliedschaft gekoppelt. Es gibt Ausnahmefälle wie das Beispiel Norwegen zeigt. Problem 2: Wer nicht mit einem Erasmus-Programm in Großbritannien studiert, zahlt bislang als EU-Bürger die «home fees». Nach dem Austritt könnten auch für Deutsche höhere Gebühren fällig werden: die «overseas fees», die die Nicht-EU-Bürger berappen müssen. Aber auch hier gibt es Ausnahmen wie die Schweiz; Studenten von dort zahlen reduzierte Gebühren in Großbritannien. Fazit: Was wirklich passieren wird, weiß niemand.
Sorgen machen sich auch Experten vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Wer aus der EU komme und in Großbritannien studiert, müsse bis zu 9000 Pfund pro Jahr an Gebühren zahlen, berichtet Henning Grunwald, DAAD-Fachlektor für moderne europäische Geschichte an der Uni Cambridge. Für Nicht-EU-Studenten seien etwa in Cambridge sogar 17 000 bis 40 000 Pfund fällig. Eine Summe, die künftig auch Deutsche auf den Tisch legen müssen? «Noch ist das Kaffeesatz-Leserei. Aber alle hier sind geschockt.» Fast 14 000 Deutsche studierten oder promovierten 2014/2015 in Großbritannien.
DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel fürchtet «erhebliche Auswirkungen» auf die Mobilität von Studenten und Wissenschaftlern. Offen sei auch, wie es mit der EU-Forschungsförderung für britische Wissenschaftler weitergehe. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka registriert derzeit viel Unruhe im Wissenschaftssektor, warnt aber vor allzu großem Pessimismus in Deutschland. Viele Dinge müssten sich im Laufe der zu erwartenden Verhandlungen klären, sagte die CDU-Politikerin.
Eine Umfrage des Unternehmens
Hobsons kam schon vor der Abstimmung zu dem Schluss: 82 Prozent der interviewten EU-Studenten fürchteten, dass das Königreich durch einen Brexit unattraktiver werden würde.
Für den Franzosen Benjamin Bouja (28) von der Imperial College Business School in London ist das alles kein Problem mehr. Im September beendet er sein Management-Studium dort. «Danach gehe ich nach Frankreich zurück und möchte dort arbeiten – das habe ich aber schon vor dem Brexit-Votum entschieden.» Durch den Absturz des britischen Pfundes nach der Abstimmung habe er sogar ein wenig profitiert und sich etwas mehr leisten können. Sorgen macht er sich aber langfristig um andere Studenten: «Viele importierte Waren könnten teurer werden.» Dann wäre London für viele unerschwinglich.
«Seit 26 Jahren lebe ich hier in dem Land und durfte nicht an dem Referendum teilnehmen», sagt Lanvers. «Man fühlt sich betrogen, man hat keine Stimme.» Sie ärgere sich über Ausländerfeindlichkeit, fühle sich nicht wohl. Neben den Umzug nach Deutschland haben sich Lanvers und ihr Mann noch einen Plan B überlegt: «Falls Schottland sich von Großbritannien abspaltet, dann ziehen wir dort hin.»
Fotocredits: Steve Vidler
(dpa)